I G   F Ü R
K L A S S I S C H E   M O T O R R Ä D E R
L E H R T E   e. V.
 

MZ ETS 250/1-G5

Baujahr 1976
243 ccm Einzylinder-Zweitakt
32 SAE-PS
120 kg

Andreas

Im Mai 2003 fiel mir eine Anzeige mit einer Geländesport-MZ bei mobile.de auf, weil die brave Großserienversion des Motors in meinem Gespann Dienst tut. Der Text lautet "Ein Motorrad, der hat kein Fahrer zu Zeit! Der steht seit viele Jahren in die Garage. Fahrbereit!!!". Leider wollte der Verkäufer die Maschine höchstens gut 100 km weit bringen, so dass ich mich auf eine Abholung in Riga einlassen musste. Meine Anfrage an das MZ-Werk wurde beantwortet mit "Die Bilder zeigen die originale ETS 250/1-G5 aus der Kleinserienfertigung der MZ-Betriebsschule für die Sowjetunion." Später habe ich vom Werk noch eine originale Betriebsanleitung und die folgende Information bekommen: "Von der MZ ETS 250/1 G in unterschiedlichen Ausführungen wurden von 1966 bis 1983 3057 Stück produziert. Davon sind 2282 Stück in die Sowjetunion gegangen. Ihr Exemplar ist das erste wieder in Deutschland aufgetauchte Motorrad, von dem wir wissen. Vielleicht gibt es noch einige mehr."

Vom Verkäufer erfuhr ich, dass das Motorrad 1976 einem Torfkombinat zugeteilt wurde. Der Ingenieur nutzte es für Kontrollfahrten im Moor. Es wechselte in private Hände, als es gegen eine dringend benötigte Hinterachse für einen Geländewagen getauscht wurde. Der zweite Besitzer brachte die mitgelieferte Beleuchtung und den Tacho an und fuhr nach Tachostand 637 km. Inzwischen war der Besitzer über 70 Jahre alt und fuhr nicht mehr. Den Verkauf besorgte sein deutsch sprechender Freund.

Ich war völlig gefesselt, was auch meiner Frau nicht verborgen blieb. Sie meinte "glaub nicht, dass du außerdem noch etwas zum Geburtstag bekommst". Daraufhin habe ich das Motorrad sofort telefonisch gekauft. Als Treffpunkt wurde der Parkplatz vor dem Abfertigungsgebäude für die Fähre nach Lübeck im Hafen von Riga, am Samstag, den 12.07.2003 um 10.00 Uhr vereinbart. Für den Vortag hatte ich einen Air-Baltic-Flug ab Hamburg für 49 € bekommen und am Abend würde die Fähre mit mir und dem Motorrad ablegen. 36 Stunden später wäre ich in Lübeck.

Als ich abends auf dem Flughafen in Riga ankomme, steht ein vom Hotel beauftragter Taxifahrer bereit und hält ein Schild mit meinem Namen hoch. Gut, dass ich mein Zimmer schon von Deutschland gebucht habe. Im Zimmer Informationen auf lettisch, russisch, englisch und deutsch. "Bitte öffnen Sie nicht auf Klopfen an der Zimmertür. Handelt es sich um den Hotelservice, vergewissern Sie sich telefonisch bei der Rezeption". Auch Tipps für den Stadtbummel gab es: "Werden Sie überfallen, werfen Sie die Geldbörse in eine Richtung und laufen Sie in die andere Richtung weg". Ich ließ mich nicht verunsichern und unternahm einen abendlichen Spaziergang. Das Hotel liegt fast im Zentrum. Die Altstadt ist durch den Park zu Fuß erreichbar. Riga ist eine wirklich schöne Stadt. Vor dem Krieg wurde es das Paris des Ostens genannt. Noch stehen heruntergekommene Häuser neben elegant renovierten Palais und modernen Neubauten.

Am nächsten Morgen ging es mit dem Taxi zum Fährhafen. Leider kannte die Taxifahrerin die notierte Adresse nicht. Sie sprach auch nicht deutsch oder englisch. Wir fuhren erst einmal in Richtung Ventspils, zum Hafen. Ich machte dort auf Hinweisschilder aufmerksam. Schließlich ein Parkplatz mit Lastwagen und auf der Ladefläche - die MZ. Begrüßung und abladen. Drei Kicks, und sie lief. Ich fuhr Runden um den Parkplatz. Ein zweisprachiger Kaufvertrag war bereits vorbereitet. Ich erklärte, vor der Bezahlung die Formalitäten erledigen zu wollen. Gemeinsam betraten wir das moderne Gebäude von Zoll und Reederei. Ich erklärte dem Grenzbeamten, mit der heutigen Fähre ein Motorrad ausführen zu wollen. "Fähre? Was für eine Fähre? Hier geht heute keine Fähre!" war seine Antwort, die mir völlig unverständlich war, obwohl er gut Englisch sprach. Im Fährbüro erklärte man mir, die Fähre sei kaputt, und sie sei auch noch gar nicht wieder zurück. Das sei aber kein Problem, die nächste Fähre ginge Montag abend, da sei ich schon Mittwoch wieder in Deutschland.

Nach einigen Telefonaten war klar, dass mir nur die Möglichkeit blieb, das Motorrad allein mit dem nächsten Schiff zu schicken und selbst wieder zurückzufliegen. Ich machte eine Fotoserie von der MZ und gab sie als unverpackte Fracht auf. Dazu mußten wir in Frachtbüro. Weil keine Papiere vorhanden waren, hatte ich bisher nur den Kaufvertrag. Dem wurde nun abgeholfen. Im Nu lag ein ganzer Stapel verschiedener Formulare vor mir, die ich ausfüllen und unterschreiben musste. Im nächsten Büro, nun wieder beim Zoll, bekamen alle bunte Stempel.

Als alles erledigt war, wurde mir erklärt, nun müsse ich zum Security-Check. Dort ging es erst richtig los. Die MZ gehörte zwar zu Sowjetzeiten einem Staatsunternehmen, hatte aber niemals eine lettische Zulassung erhalten. Der Verkäufer führte mit den Zollbeamten ein mehr als halbstündiges intensives und emotionales Gespräch auf lettisch. Als Lösung erwies sich, dass in der zentralen Zulassungsdatenbank keine einzige MZ G5 verzeichnet war - dann konnte das Motorrad ja nicht gestohlen sein. Ich bekam den (letzten?) Stempel. Dann noch eine Kontrolle draußen am Schlagbaum. Welch ein Kontrast: hinter dem einer Versicherung würdigen Gebäude alte sowjetische Wellblechhallen, neben dem Schlagbaum eine winzige Bretterbude mit einem Stuhl, einem Schreibbrett und einem Ghettoblaster. Um in der sommerlichen Hitze die Tür offen zu halten, war eine flachgeklopfte Bratpfanne daruntergeschoben. Die Dame aus dem Frachtbüro, die uns nun begleitete, wies zu einer der Hallen. Am Tor entfernte Sie das Schloss, ging einen Schritt zurück und trat mit aller Kraft zu. Im Halbdunkel war allerhand verschnürtes auf Paletten zu sehen. In eine Ecke stellte ich die MZ. Im Gebäude wurden mir fast alle Papiere wieder abgenommen. Es wurde erklärt, nun sei alles erledigt. Also verabschiedete ich mich und begleitete den Verkäufer zu seinem LKW. Dort erhielt er sein Geld. So hatte ich mir das nicht vorgestellt.

Er brachte mich noch zum Flughafen, wo ich wählen konnte zwischen einem Flug am Abend für 400 € oder einem am Sonntag für 80 €. Da es nun einmal billiger war, noch einmal zu übernachten und mir die Stadt anzusehen, machte ich das auch.

Riga ist eine wirklich schöne und sehenswerte Stadt, die ihre alten Verbindungen nach Deutschland nicht versteckt. Es gibt ein Denkmal für Herder, der eine Zeit lang hier gelebt hat. In einem Antiquariat entdeckte ich zwei große Regale mit deutschen Büchern. Gern hätte ich auch noch gebundene Jahrgänge des "Türmer" und der "Jugend" vom Anfang des letzten Jahrhunderts mitgenommen, aber mein Rucksack war schon schwer genug.

Wieder zuhause konnte ich mich übrigens mit Manfred austauschen, der fast zur gleichen Zeit in Riga war. Er hatte mit Freunden (und einem roten 07er-Kennzeichen an seiner /7!) eine Tour nach Tallin gemacht.

Wie ich später über die MZ-Liste erfuhr, hatte ein Finne in Tallin zwei weitere MZ G5, allerdings in schlechtem Zustand, erworben. Das sind bisher die beiden einzigen weiteren G5 aus dem Kontingent für die Sowjetunion, von denen ich erfahren habe.